Gute Wirkungen v.a. bei neuroendokrinen Tumoren, dem Schilddrüsenkrebs und beim Prostatakrebs.
Auf die molekulare Diagnostik folgt die zielgerichtete Radionuklidtherapie.

Graz, 10. Mai 2022. Die Anwendung theranostischer Konzepte basiert auf dem Wissen der Nuklearmedizin und der molekularen Bildgebung. Theranostik in der Nuklearmedizin beschreibt das Prinzip, eine Krankheit mit einem diagnostischen radioaktiven Medikament (Radiopharmakon) bildgebend darzustellen und Patientinnen sowie Patienten mit einem chemisch ähnlichen therapeutischen Radiopharmakon zu therapieren. Sie ist eine treibende Kraft der personalisierten Medizin. Dadurch ist eine individualisierte Behandlung bei speziellen Tumoren möglich. Vor allem Patientinnen und Patienten, die am Schilddrüsenkrebs und dem Prostatakrebs erkrankt sind, profitieren immens von der Therapie mit Radionukliden, wie sie in der Theranostik zur Anwendung kommen. Zudem werden Theranostika auch an neuroendokrinen Tumoren, das sind eher seltene Tumoren mit speziellen Andockstellen für ein Hormon, eingesetzt. Weitere vielversprechende Therapieansätze für andere Tumorerkrankungen sind in Reichweite.

Patientinnen und Patienten profitieren durch gezielte und nebenwirkungsarme Behandlung

„Hinter dem kompliziert anmutenden Begriff der Theranostik steckt die Kombination aus Therapie und Diagnostik. Die Krebszellen werden zielgerichtet durch radioaktive Strahlen bekämpft: Eine radioaktive Sonde dockt ausschließlich an die Tumorzellen an und gibt zielgerichtet Strahlung im Körper ab. Dies unterscheidet die sogenannte Radionuklidtherapie von einer „klassischen“ Strahlentherapie, bei der die Strahlung erst von außen das gesunde Gewebe durchdringen muss, um die Tumorzellen zu erreichen. Im Vergleich zur Chemotherapie, bei der ein Chemotherapeutikum im gesamten Körper verteilt wird, sind unsere Therapien durch diese zielgerichtete Bindung an die Tumorzellen relativ nebenwirkungsarm. Das ist für Patientinnen und Patienten ein großer Vorteil.“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Rainer W. Lipp, FACNM, Onkologe und Nuklearmediziner an der Klinischen Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Graz

Theranostik beim Schilddrüsenkarzinom

Schilddrüsenerkrankungen werden seit Jahrzehnten nuklearmedizinisch nach dem Prinzip der Theranostik behandelt. Beim hoch-differenzierten Schilddrüsenkarzinom ist die Radiojodtherapie die klassische Therapie der ersten Wahl, diese wird seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet. Nach einer Operation wird mit Hilfe der risikoarmen Radiojodtherapie das verbliebene Schilddrüsengewebe und darin eventuell vorhandene Tumorzellen komplett ausgeschaltet. Bei diesem nuklearmedizinischen Therapieverfahren nehmen die Tumorzellen radioaktives 131Jod auf. Die kurz reichende Strahlung dieses radioaktiven Stoffes wird dabei genutzt, um das Restgewebe der Tumore wirkungsvoll abzutöten. Im Vergleich zu anderen Methoden der Krebsbehandlung sind die Nebenwirkungen hier deutlich geringer. Für die Patientinnen und Patienten ist im Anschluss an eine solche nuklearmedizinische Schilddrüsenkrebstherapie wieder ein normales Leben möglich.

Theranostische Methoden beim Prostatakrebs

Das Prostatakarzinom ist der zweithäufigste Tumor des Mannes. Besonders hervorzuheben ist die sogenannte PSMA-gerichtete Radionuklidtherapie gegen Prostatakrebs. PSMA steht für Prostata-spezifisches Membran-Antigen; das ist ein Eiweiß, das in hoher Konzentration der Oberfläche von Prostatakrebszellen vorkommt. Mit diesem Verfahren können große Erfolge bei der Therapie von Prostatakrebs erzielt werden: Wird der Wirkstoff PSMA mit einem stark strahlenden therapeutischen Radionuklid markiert, können die Krebszellen gezielt vernichtet werden. Das übrige Gewebe wird nicht angegriffen.

In einer großen internationalen Phase-III-Studie mit österreichischer Beteiligung (VISION Trial 2021 NCT03511664) wurde jetzt erstmalig kontrolliert nachgewiesen, dass diese Therapie nicht nur das Fortschreiten der Erkrankung verzögern kann, sondern auch das Gesamtüberleben der betroffenen Männer signifikant verlängern kann.

„Damit steht neben drei Therapielinien zur Hormonblockade und zwei Chemotherapie-Linien eine weitere effektive Therapielinie für das metastasierende Prostata-Karzinom zur Verfügung“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Rainer W. Lipp. Diese Therapie erhielt gerade erst am 23. März 2022 eine FDA Zulassung.  

Theranostisches Prinzip bei neuroendokrinen Tumoren

Neuroendokrine Tumore (NET) des Gastrointestinaltraktes und der Lunge werden zu den seltenen Tumoren gezählt. Aufgrund der häufig langen Zeit des asymptomatischen und nur langsam progredienten Verlaufes werden ca. 70% der Betroffenen erst in einem Stadium fortgeschrittener Metastasierung diagnostiziert.

Für die Behandlung symptomatischer NET-Patientinnen und Patienten stehen seit Jahren Somatostatinanaloga wie Octreotid und Lanreotid in verschiedenen Wirkformen und Dosierungsstärken zur Verfügung. Zusätzlich zur Symptomkontrolle typischer NET Syndrome konnte in den letzten Jahren auch eine antiproliferative Wirksamkeit der Somatostatinanaloga gezeigt werden.

Das Prinzip dieser Radioligandentherapie basiert auf der Bindung eines radioaktiven Somatostatinanalogs, welches gleich wie ein nicht radioaktiv markiertes (= „kaltes“) Somatostatinanalog von Somatostatinrezeptor exprimierenden Tumorzellen (SSR) gebunden wird. Nach der Bindung an der Zelloberfläche wird das radioaktive Analog durch die sogenannte „Internalisation“ in das Zytoplasma der Tumorzellen aufgenommen, wo neben den etablierten Wirkungsmechanismen von Somatotstatin zusätzlich die freiwerdende Bestrahlung zu einer Destruktion der DNA im Zellkern und somit zum Zelltod führt. Der große Vorteil der Radioligandentherapie dürfte aber darin bestehen, dass zusätzlich zu den SSR2 exprimierenden Tumorzellen auch Zellklone mit geringer oder fehlender SSR-Expression mitbehandelt werden können. Auf Grund der geringen durchschnittlichen Reichweite der Betastrahlung von 0,5 mm für [177Lu]Lutetium können im Durchschnitt 100 weitere Tumorzellen mitbehandelt werden. Gerade die schlechter SSR-exprimierenden Tumorzellklone können eine höhere Zellteilungsrate zeigen und sind daher einer Beta-Bestrahlung besonders empfänglich.

Mit der NETTER-1 Studie (NCT01578239) liegt eine prospektive, randomisierte, multizentrische internationale Phase-III Doppelblindstudie vor, welche die Wirksamkeit der Radioligandentherapie im Vergleich zu einer Hochdosis Somatostinanaloga-Therapie bei Patientinnen und Patienten mit progredienten Dünndarm-NET zeigt. Die objektivierbare Response Rate (=komplette radiologische Remission oder partielle radiologische Remission) betrug 18% im Vergleich zu nur 3% im Kontrollarm. Diese Therapie erhielt am 26. September 2017 eine EMA- und 26. Januar 2018 eine FDA Zulassung.

Nuklearmedizinische Therapien sind in der Onkologie etabliert

Die nuklearmedizinische Therapie hat sich im interdisziplinären Tumorboard als fixer Baustein etabliert – insbesondere zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. Das nuklearmedizinische „Targeting“-Prinzip der Verknüpfung einer Wirksubstanz mit einem diagnostischen und therapeutischen Radioisotop stellt ein perfektes theranostisches Konzept dar, das nunmehr bei einigen Krebserkrankungen erfolgreich eingesetzt wird.“ erläutert Prof. Dr. Lipp.

Neue theranostische Verfahren in der Nuklearmedizin: Was ist zu erwarten?

„Die Zahl der molekularen Angriffspunkte bei Krebszellen ist sehr groß. Darin liegt auch das künftige Potenzial der theranostischen Methoden. Das macht das Fachgebiet der Nuklearmedizin so innovativ und spannend. In Zukunft dürfen wir auf zusätzliche nuklearmedizinische Therapien gegen Tumorerkrankungen hoffen. Auch jene Erkrankungen, die wir aktuell noch nicht radioaktiv behandeln können.“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Rainer W. Lipp.


Radiopharmaka?

Radiopharmaka sind nuklearmedizinische Arzneimittel, die sowohl für diagnostische als auch therapeutische Zwecke eingesetzt werden. In den meisten Fällen werden Sie durch Injektion in die Armvene verabreicht. Radiopharmaka enthalten kleine Mengen an radiokativen Isotopen. Diese werden, je nachdem welche Radiopharmaka verwendet, vom Körper in den Stoffwechsel (z.B. von der Schilddrüse oder Herzen) aufgenommen.

Radionuklide, die Gamma-Strahlen emittieren, werden in der Diagnostik und Bildgebung verwendet. Die Strahlung wird nach Verabreichung von speziellen Kameras detektiert und aufgezeichnet. In der Therapie hingegen werden Alpha- oder Beta-Strahler verwendet, um gezielt bösartiges Gewebe zu zerstören. Durch die geringe Reichweite (wenige mm) ist die Strahlenexposition des umliegenden Gewebes gering. Radiopharmaka bleiben über einen kurzen Zeitraum im Körper und werden anschließend über den normalen Stoffwechsel ausgeschieden.


Nuklearmedizin: Behandlung mit Durchblick

Unter Nuklearmedizin versteht man den Einsatz von radioaktiven Arzneimitteln für Diagnostik, Therapie und medizinische For­schung. Der Begriff Diagnostik umfasst die medizinische Bildgebung und bildfreie Ver­fahren wie beispielsweise Bluttests. Durch die Möglichkeit, Zielstrukturen an Tumorzel­len treffsicher darzustellen und zu behan­deln, werden nuklearmedizinische Verfahren im Kontext der personalisierten Medizin zu­nehmend auch bei Tumorerkrankun­gen eingesetzt.

Die Österreichische Gesellschaft für Nuklear­medizin & Molekulare Bildgebung (OGNMB) ist die von der Österreichischen Ärztekammer für das Sonderfach Nuklearmedizin akkredi­tierte Fachgesellschaft und fördert unter an­derem Wissenschaft, Ausbildung und sichere Praxis auf dem Gebiet der Nuklearmedizin.

Comments are closed.